Ein Vulkan im Keller
BAYERISCHE STAATSZEITUNG „Bayern forscht“ Nr. 5, 10. November 2006
Wissenschaftler der LMU München erforschen Vulkane
Egal ob ein Vulkan an der Erdoberfläche oder unter Wasser ist: Für den Menschen können beide Formen gefährlich werden. Um die Bevölkerung vor den Risiken besser schützen und Frühwarnsysteme entwickeln zu können, muss man jedoch verstehen, wie die Feuerspucker funktionieren.
Rund 850 °C Hitze schlagen Ulrich Küppers entgegen. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Mineralogie, Geochemie und Petrologie der Ludwig-Maximilians-Universität München steht vor einem drei Meter hohen Stahlzylinder im Keller des Instituts. Am unteren Ende des silbrig glänzenden Behälters ist ein System installiert, mit dem man natürliche Lavaproben erneut erhitzen, unter Gasdruck setzen und sie dann durch schnelle Druckentlastung explodieren lassen kann.
Die Anordnung funktioniert ähnlich, wie es bei einem echten Vulkan in der Natur der Fall ist: Mit einem kleinen Ofen am Fuß des Zylinders wird das Gestein in einem Hoch-Druck- & und Hoch-Temperatur-Autoklaven platziert, erhitzt und unter großen Druck gesetzt. Die Wissenschaftler haben so ihren eigenen Feuerberg im Miniaturformat gebaut. Mit dieser Technologie studieren sie, was passiert wenn ein großer Vulkan ausbricht. Insgesamt stehen vier dieser Zylinder in dem Labor. „Experimentelle Vulkanologie“ nennen die Geowissenschaftler um den kanadischen Professor Donald Bruce Dingwell ihre Arbeit. Die Münchner Forscher gehören damit zu einer Handvoll von Arbeitsgruppen, die sich weltweit mit der Simulation von Feuerbergen beschäftigen.
„Wir wollen verstehen, wie Vulkane funktionieren, welche physikalischen und mechanischen Voraussetzungen gegeben sein müssen, wenn sie ausbrechen“, erklärt Ulrich Küppers, während er die Gesteinprobe aus Lava in den Ofen schiebt. Gekleidet ist Küppers stilgerecht. Er trägt ein schwarzes T-Shirt, das er vom Vulkan Pacaya aus Guatemala mitgebracht hat. Vulkane haben den Forscher auch in seiner Freizeit in ihren Bann gezogen. Es vergeht kaum ein Urlaub, den er nicht am Stromboli, am Ätna oder an sonst einem Feuerberg irgendwo rund um den Globus verbringt.
In die bayerische Landeshauptstadt haben Küppers und seine Kollegen die Vulkangesteine von überall auf der Welt gebracht, um sie hier erneut aufzuschmelzen, und ihre mineralische Zusammensetzung zu erkunden. „Die Beschaffenheit der Lava ist entscheidend für ihr Fließverhalten bei einem Ausbruch“, sagt Küppers. Neben den Hauptbestandteilen Silizium und Sauerstoff können noch etwa zehn weitere Elemente enthalten sein. Je mehr Silizium in der Lava beinhaltet ist, desto explosiver ist in der Regel auch der Vulkan, an dem sie gefoerdert werden.. Deswegen sind die rund 600 oberirdischen Feuerberge der Erde auch sehr unterschiedlich gefährlich für die Menschen, die in ihrer Nähe wohnen. Zum Beispiel gehört der Vesuv zu den explosivsten Vulkantypen, die Ausbrüche der letzten Jahrhunderte und vor allem die Katastrophe im Jahr 79 nach Christus, als u.a. Pompeji und Herculaneum verschüttet wurden, haben gezeigt, dass von dem Vulkan auch heute noch eine große Bedrohung ausgehen kann. Denn in geologischen Zeiträumen betrachtet gehört der Vesuv noch immer zu den aktiven Vulkanen. Bei seinen Ausbrüchen wird vor allem heiße Asche gepaart mit giftigen Gasen ausgestoßen.
Der Ätna dagegen wird zu den harmloseren Feuerbergen gerechnet. Seine Gase werden permant und nicht nur waehrend eines Ausbruchs freigesetzt, sodass bei einer Eruption meist nur seine Lava zu Tage tritt, in der Regel fließt sie langsam und berechenbar. Die Menschen können sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Explosives Ausbruchsverhalten legt der imposante Vulkan auf Sizilien also nur selten an den Tag.
Mittlerweile ist die Gesteinsprobe von Ulrich Küppers in dem Zylinder explodiert. Der feine Staub hat sich verteilt in dem Zylinder, mit dem die Forscher die Erdatmosphäre simulieren. Bei der Explosion hat Küppers mit Hilfe zweier Laserschranken die Geschwindigkeit der Teilchen gemessen, die sie beim Eintritt in die simulierte Atmosphäre hatten. Mit dieser Information kann er bestimmen, wie weit die Partikel in der Natur aus dem Schlot bei einem realen Vulkanausbruch geflogen wären. Zudem bestimmt er, welche Größe die Teilchen hatten, die während der so genannten Fragmentierung entstanden sind.
Doch Gefahr geht nicht nur von Vulkanen aus, die sich über dem Meeresspiegel befinden. Auch Feuerberge, die am Meeresgrund aktiv sind, können für die Menschen zur Bedrohung werden, etwa wenn durch sie Tsunamis ausgelöst werden und die riesigen Wellen die Küstenregionen treffen. Aus diesem Grund werden die Münchner Vulkanologen nun ihre Simulationen auch auf Unterwasservulkane ausdehnen. In einem der vier riesigen Stahlzylinder im Keller werden sie in nächster Zeit auch das Verhalten dieser Feuerberge simulieren. Dann wird sich nicht mehr Luft in dem Behälter über dem Ofen mit der Druckkammer befinden, sondern Wasser.
Doch Donald Bruce Dingwell und sein Team forschen nicht nur in den neonbeleuchteten Labors der Universität. „Unsere Arbeit ist immer eine Kombination aus Studien vor Ort, der Auswertung im Labor und Computersimulationen“, erklärt Dingwell. Der Kanadier spricht perfekt deutsch. Manchmal jedoch benützt er englische Ausdrücke, um seinen Worten mehr Bedeutung zu verleihen, etwa wenn er von einem „big one“ spricht, also einem besonders gefährlichen Vulkan.
„Jede Woche bestimmen wir in unseren Labors neue Eigenschaften und Arten von Lavagesteinen. Das zeigt uns stets auf Neue, dass wir noch lange nicht alles wissen über die individuellen Charakteristika der Vulkane“, sagt Dingwell. Für ihn liegt der Schlüssel zum Erfolg in der interdisziplinären Kooperation. Sein Team besteht aus Geowissenschaftlern, Materialexperten, Chemikern und Physikern. „Wir müssen die Grenzen zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen aufheben“, meint Dingwell. „Die Natur ist ein zusammenhängendes System, wir untersuchen hochkomplexe Phänomene“, erklärt Dingwell. „Einen Vulkanausbruch kann man einfach nicht betrachten ohne die ihn begleitenden Erdbeben mit einzubeziehen. Genauso kann ein Vulkanausbruch auch erst die Erdbeben auslösen, aber auch extreme Wetterereignisse wie Starkregen können durch Eruptionen ausgelöst werden.“
Mit ihren Erkenntnissen entwickeln die Münchner Wissenschaftler zur Zeit unter anderem ein Frühwarnsystem für die Anwohner des Vesuv am Golf von Neapel. Auch am südostasiatischen Sundabogen sind die Forscher aktiv. Insgesamt werden sie in den nächsten Jahren sieben Feuerberge der von Naturkatastrophen stark betroffenen Region unter die Lupe nehmen, unter anderem den indonesischen Vulkan Krakatau, bei dessen Ausbruch im Jahr 1883 mehr als 36.000 Menschen ums Leben kamen und den Merapi, der erst in diesem Jahr ausgebrochen ist und der ebenfalls als äußerst gefährlich gilt. Gesteinsproben vom Merapi haben die Vulkanologen bereits in ihrem Miniaturvulkan im Keller explodieren lassen.
„Letztendlich wollen wir genauer voraussagen koennen, wann ein Feuerberg für die Menschen zur essentiellen Bedrohung wird und wie weit sein Gefährdungspotential reicht“, betont Dingwell. Dabei haben die Forscher nicht viel Zeit. „Wir können einen Vulkan nicht über Tausende von Jahren beobachten, in denen normalerweise die Prozesse wie die Entstehung von Magma und der Aufbau des großen Drucks stattfinden“, sagt Dingwell,“ bei uns im Labor dauern diese Vorgänge nur einige Stunden, wir betreiben Vulkanismus im Zeitraffer.“
Unterdessen hat Ulrich Küppers seine Daten der letzten Explosion auf seinem Computer gespeichert. Nach einer ausgiebigen Reinigung des Stahlzylinders wird er gleich am folgenden Tag eine weitere Probe in seinem Laborvulkan platzieren und dann den Druck wie in einem echten Vulkanschlot permanent erhöhen. Die nächste Lavaprobe stammt vom Merapi und wird dem indonesischen Feuerberg vielleicht ein weiteres kleines Geheimnis seines Innenlebens entlocken.
THORSTEN NAESER