Tanz auf dem Vulkan
Deutschlandfunk – Onlineausgabe, SONNTAGSSPAZIERGANG, Sonntag, 17. Mai 2009
Reise zu den aktiven Feuerbergen Süditaliens
Vulkane üben eine enorme Faszination auf Menschen aus – sie werden bewundert und gefürchtet. In Süditalien und Sizilien gibt es aktive Vulkane, die alles bieten, was das Herz eines Vulkanliebhabers begehrt. Vom scheinbar stillen Vesuv in Neapel bis zum Sitz des Feuergottes auf der Liparischen Insel Vulcano führt eine Exkursion zu den Feuerbergen.
„Die Oberfläche des Vulkans barst kurz nach 12 Uhr mittags, der Himmel war dunkel und von wirbelnden Geschossen erfüllt und binnen Sekunden wechselte der Tag von Nachmittagssonne in Zwielicht, um mich herum wütete Lärm, das Tosen der See, der Gesteinshagel, das Poltern einstürzender Dächer. Als ich nach Pompej kam, hatte ich den Eindruck von niedrigen Mauern, als ich aber weiterstolperte, erkannte ich, dass ich mich eine Straße in Dachhöhe entlang mühte.“
So beschrieb der Naturforscher Plinius den verheerenden Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79. Ein Augenzeuge einer gewaltigen Naturkatastrophe. Die heute schwer vorstellbar ist. Still liegt der mächtige Krater vor den vielen tausend Besuchern, die täglich hier heraufkommen. Sein imponierendes Dasein kann ihm dieser Massenandrang aber nicht nehmen. Eine erkaltete, aber keine erloschene Schönheit, weiß Geologe und Vulkanexperte Florian Becker, der die Exkursion zu den Feuerbergen begleitet.
„Der Vesuv ist – zu der Aussage lass ich mich hinreißen – der gefährlichste Vulkan der Welt. Nicht weil er der explosivste ist, er ist ein sehr explosiver Vulkan, diesen Typ Vulkan finden wir ein paar Mal auf der Erde, aber beim Vesuv ist einzigartig, dass er im dichtbesiedelten Gebiet steht. In seinem Einzugsbereich im Golf von Neapel wohnen dreieinhalb Millionen Einwohner.“
Deshalb wird dieser Vulkan weltweit so gut überwacht wie kein anderer. Nach der Katastrophe in der Antike ist der Krater in sich zusammengestürzt, die gewaltigen Explosionen hatten die gesamte Magma Kammer geleert. Der Einsturzkrater der dabei entstanden ist, wird Caldera genannt. Bis nah an ihren Rand sind die Exkursionsteilnehmer dem Vulkanexperten gefolgt und bekommen nun ihre erste Lektion.
„Den Felix und Paul brauch ich jetzt einmal. Jetzt sagt hier einfach mal, was ihr hier seht.“
„Ein großer Krater, wo Dämpfe rauskommen.“
„Das ist schon mal ne richtige Feststellung. Also, das ist der Krater vom Vesuv, der ist wirklich auch groß! Der hat etwa 500 Meter Durchmesser und ist 200 Meter tief. Dämpfe kommen raus, was heißt das?“
„Gase, also Schwefel oder so.“
„Genau. Also was man hier sieht, diese Dampffahnen ist in erster Linie Wasserdampf, hin und wieder riecht man auch noch ein bisschen den klassischen Gestank nach Schwefel, also nach faulen Eiern, das ist H2S also Schwefelwasserstoff, das ist ein prominentes Gas an Vulkanen.“
Felix und Paul sind die jüngsten der Gruppe – und wahre Vulkanfans. Dass am Vesuv keine große Aktivität zu sehen ist, stört sie nicht.
„Der schläft ja noch“ ,
bringt es der achtjährige Paul auf den Punkt und starrt mit Vater Frank begeistert in den riesigen Krater.
„Also, wenn du das Loch mal siehst, wenn du das mit der Schubkarre rausfahren willst, da brauchst du wahrscheinlich 10.000 Jahre länger und das macht einmal puff und dann ist es draußen. Und da drunter musst du ja einfach nur ein bisschen wegkratzen und dann muss ja das glühende Zeug kommen, ne, das geht ja bis zum Mittelpunkt der Erde durch.“
Manchmal poltert ein Stein in die unauslotbare Tiefe, grollt in dem gewaltigen Schallbecken nach – am inneren Kraterrand steigen da und dort weiße Rauchfahnen auf. Hier kommen Gedanken an Ursprung, Anfang und Ende.
„Was mich an Vulkanen interessiert ist die Naturgewalt, die auch von Menschen nicht zu steuern, nicht zu kontrollieren ist. Wir als Menschen sind eigentlich nur Beobachter von Vulkanen. Ich find’s immer faszinierend, wenn man diese Naturschauspiele auch relativ sicher beobachten kann. Das geht an einigen der Vulkane, der Ätna ist ein Beispiel dafür und der Stromboli auch.“
Und deshalb führt die Reise weiter nach Sizilien, zum nächsten Feuerberg. Der Ätna ist mit seinen 3300 Metern der höchste daueraktive Vulkan Europas und seit 100.000 Jahren aktiv. Ein Muss für Vulkanfreunde. Denn hier lockt nicht nur der Kraterrand – durch seine ständige Aktivität gibt es auch im Umfeld des Berges viel zu entdecken.
„Jetzt sind wir hier in einem Lavastromfeld, wo im Laufe der letzten Jahrzehnte mehrfach Lava geflossen ist. Wir haben direkt vor uns die Lava von 2001, die damals Richtung Nicolosi geflossen ist und hier etwa aufgehört hat zu fließen.“
Diese Art Lavaströme sind die sogenannten Blocklavaströme. In Hawai AA-Lava genannt, unterscheidet sich von dünnflüssiger, die nicht bröckelig abkühlt, sondern sich wie Haut eines Puddings faltig zusammenzieht, das ist die Strickleiterlava, hawaiianisch: Paheuheu-Lava. Eine Lavawüste in allen schwarzen Schattierungen. Bei näherem Hinsehen gibt es dazwischen grüne Lichtpunkte – kleine Kräuter kämpfen sich tapfer durch die Steine und auf den älteren Lavafeldern haben es Ginsterbüsche zu einiger Größe gebracht. Der Sizilianer Salvo begleitet die Gruppe bei dieser Tour. Er wohnt in Nicolosi, also direkt unter dem Vulkan – und möchte an keinem anderen Ort leben. Der Berg gibt und der Berg nimmt, erklärt er Sybille Janssen, die zusammen mit dem Vulkanexperten die Reise entwickelt hat und durchführt. Salvo spricht, Sybille übersetzt:
„Für uns ist der Vulkan keine Bedrohung, sondern eine Quelle und ein Reichtum. Steine für die Häuser und Straßen, fruchtbares Land. Der Ätna ist nicht der Stromboli und auch nicht der Vesuv, er ist einfach nicht so gewalttätig, er nimmt dir das Haus weg, er nimmt dir den Garten weg, aber er nimmt dir nie das Leben weg. Er überrascht nicht mit Explosionen.“
Am nächsten Morgen geht es dann ganz hinauf auf den höchsten Berg Siziliens. Zunächst mit der Seilbahn die hoch über riesige Krater, Aschekegel und erloschene Lavaströme schaukelt. Oben weht ein eisiger Wind, der Nebelwolken über die schwarze unendliche Weite treibt. Vier Gipfelkrater hat dieser gigantische Vulkan. Wobei der Südostkrater in den letzten Jahren mit Abstand am aktivsten war.
„Die Lavaströme fließen im Valle del Bove. Das Valle del Bove ist da wo jetzt die Wolken sind, genau im Osten vom Ätna. Unter uns ist ein Haus, das ist verschüttet 2001, wir sehen hier gleich noch das Dach, da wo es dampft, da schaut’s noch raus und hier. In den 90er-Jahren konnte man da noch drin schlafen.“
Die ehemalige Schutzhütte ist bis zum Dach in schwarzer Asche verschwunden – ein Gänsehaut-Anblick, der eine Vorstellung davon vermittelt, wie mächtig so ein Vulkanausbruch sein kann. Dicht am Haus eine Stelle an der die Hitze der Lava immer noch zu spüren ist. Beim Abstieg zur Seilbahn, versinken die Füße in Asche – ein Marsch wie durch tiefen Schnee – nur in Schwarz. Ein weiterer magischer Anziehungspunkt und Höhepunkt für alle Vulkanliebhaber: die Insel Stromboli. Schon die Überfahrt ist ein Erlebnis: Die riesige Rauchfahne des Vulkans ist von weitem sichtbar, eine Hand voll weißer Häuser leuchten hinter dem schwarzen Sandstrand und das Meer hat eine Farbe wie dunkelblaue Tinte. Obwohl vom Stromboli nur 900 Meter zu sehen sind, gehört er zu den Dreitausendern – 2000 Meter des Vulkans liegen unter dem tiefblauen Wasserspiegel.
„Der Stromboli ist einer der aktivsten Vulkane der Welt, wenn nicht sogar der Aktivste. Nach ihm benannt ist die strombolianische Aktivität oder die strombolianischen Eruptionen. Das ist Auswurf von Lavaschlacken alle paar Minuten, unregelmäßig, die glühende Lava fliegt mehrere hundert Meter hoch, momentan mit einem riesigen Zischen verbunden. Das ist der Düseneffekt, die Vulkanöffnungen, momentan sechs oder sieben, aus denen das heiße Gas rausschießt mit hoher Geschwindigkeit und diese glühenden Fetzten mitreißt, mit einem ohrenbetörenden Lärm.“
Und das will sich die Exkursionsgruppe natürlich nicht entgehen lassen. Am nächsten Tag geht es direkt hoch. Die ersten 200 Höhenmeter zum Krater sind etwas steil, der Weg schmal. Aber bevor Unmut aufkommen kann, wird die Anstrengung bereits belohnt. Sybille Janssen kennt die Feuerinsel seit vielen Jahren – und sie lässt sie jedes Mal wieder aufs neue entflammen.
„Da vorn ist die Meerenge von Messina, Capo Vaticano, den Ätna, aber natürlich nur bei klarem Wetter und heute haben wir exzellentes Wetter, soviel von hier oben hab ich noch nie gesehen, wenn man sich umdreht dann sieht man heute, den Schatten, den der Stromboli selbst auf die Insel wirft und dann aufs Meer und sogar die Rauchfahne, die ist heute so stark, dass sie einen Schatten auf das Meer gemacht hat.“
Oben werden Helme verteilt – falls sich ein Stein bei der Eruption verirren sollte – dann gespanntes Warten unterhalb des Kraters. Erst als die Nacht schwarz genug ist, gehen die Vulkanfreunde ganz hinauf. Circa 200 Meter unter ihnen liegt eine bizarre Kraterlandschaft – und plötzlich geht es los. Mit einem Höllenlärm, der tief aus der Erde zu kommen scheint, schießt aus einer großen Öffnung eine riesige Feuersäule in den dunklen Nachthimmel. Rote Glut legt sich um den Kraterrand, glühende Steine rollen die tiefschwarze Sciara del Fuoco – die Feuerrutsche – hinunter und versinken im Meer. Weitere Eruptionen folgen, breite Feuersäulen, die wild umher sprühen, schmale, die hoch in den Himmel zischen, begleitet von ohrenbetäubendem Donnern, Pfeifen und Brausen. Ein phänomenales Naturereignis, das die Zuschauer in den Bann genommen hat.
„Ein Blick ins Innere der Erde – Überwältigend!“
„Ich bin eigentlich nicht besonders religiös, aber da am Kraterrand habe ich an die Schöpfung denken müssen.“
Dann der Abstieg bei Nacht unter einem funkelnden Sternenhimmel mit unzähligen Sternschnuppen. Ein Konkurrenzfeuerwerk des Universums. Auch wenn es schwer fällt, den Sternenhimmel über Stromboli zu verlassen, der letzte Feuerberg dieser Reise wartet. Und vom Strombolianischen Fegefeuer geht es nun direkt in den Gestank der Hölle.
„Benvenuti auf Vulcano, unserem letzten aktiven Vulkan auf dieser Reise. Wir sind auf Vulcano, die Insel, die von sich behauptet der Namensgeber für alle Feuerberge der Welt zu sein. Die Römer vermuteten den Sitz des Feuergottes Vulcanus hier im Untergrund und nach dem Feuergott wurden dann eben auch alle Feuerberge genannt. Ich möchte euch zuallererst mal was vorlesen, weil ich es so passend finde, ein Text von Guy de Maupassant, über Vulcano:
»Man kann die Wände des Abgrundes hinabsteigen und bis zum Rand dieser wütenden Münder des Vulkans gehen, um mich herum ist alles gelb, auch unter meinen Füßen und über mir, von einem blendenden betörenden Gelb, alles ist gelb, der Boden, die hohen Bergwände und auch der Himmel selbst…«“
Giftiggelb und höllisch stinkend – muss man da wirklich hinauf? Man muss, denn ein Vulkanfan muss tun, was ein Vulkanfan tun muss. Oben angekommen hilft nur ein nasser Lappen um Mund und Nase, bevor es mit Florian Becker durch die gelben Schwefeldämpfe geht, um einen Blick in die Fumarolen – die Rauchsäulen – zu wagen.
„Was ihr jetzt hier riecht, dieses Unangenehm stechende, ist Schwefeldioxyd, schweflige Säure. Es ist mir noch nicht passiert, dass mir jemand umgekippt ist, aber es ist hier die haarigste Stelle unsere Exkursion.“
„Man sieht in diesen Fumarolen, kleine, honigfarbene Tröpfchen, teilweise auch so kleine Bächlein, das ist flüssiger Schwefel, der schmilzt bei 115 Grad, also da ist es heißer.“
Nach der Führung setzt sich der Vulkanexperte gelassen an den Rand der ätzenden Dämpfe um mit sichtlichem Vergnügen sein Panino zu essen – der schweflige Beigeschmack hat für ihn offenbar genau das richtige Aroma.
BARBARA WIEDEMANN
Die Journalistin Barbara Wiedemann war Teilnehmerin an der Reise FEUERBERGE SÜDITALIENS im Oktober 2008.
Der Artikel wurde als Hörfunksendung am 17.05.2009 auf Deutschlandradio ausgestrahlt. Sie können den Sendemitschnitt hier anhören: