Tanz auf dem Vulkan
Seite R4, Berliner Zeitung Nr. 159 – 11./12. Juli 2009
Sie sind so faszinierend wie Angst einflößend: die Feuer spuckenden Berge im Süden Europas. Eine Tour zu ihren Kratern
„Wenn du das Loch mit der Schubkarre ausheben wolltest, bräuchtest du wahrscheinlich 10.000 Jahre“, Vater und Sohn stehen am Kraterrand und schauen fachmännisch in den mächtigen Schlund. „Und hier macht das ein Mal puff und dann ist es draußen.“
Die beiden sind Teilnehmer einer Exkursion zu den Feuerbergen Süditaliens. der geschichtsträchtige Vesuv ist der erste Vulkan dieser Reise. Still liegt der Krater vor den vielen tausend Besuchern, die täglich hier herauf kommen, um etwas zu spüren, was nicht zu sehen ist: dieser Vulkan lockt nicht mit glühender Lava oder Feuersäulen, seine Faszination liegt in seiner Gefährlichkeit – und in seiner Geschichte.
Über den Ausbruch im Jahr 79 schrieb der Naturforscher Plinius: „die Oberfäche des Vulkans barst kurz nach 12 Uhr Mittags, der Himmel war dunkel und von wirbelnden Geschossen erfüllt, um mich herum wütete Lärm, das Tosen der See, der Gesteinshagel.“ auch wenn sich die Naturgewalt im Moment zurückhält, der Vesuv ist keinesfalls erloschen, er gehört zu den explosivsten und gefährlichsten Vulkanen der Welt.
Wie im Schnee, nur schwarz
Der nächste Feuerberg ist eher das Gegenteil: explodiert nicht, lässt aber seit Urzeiten Lavaströme fießen – der Ätna auf Sizilien. In Catania wird die Gruppe von Salvo abgeholt, der sie nach Nicolosi bringt, seinem Heimatort, der direkt unter dem Vulkan liegt. Er möchte nirgendwo anders leben, erklärt er mit der echten Leidenschaft eines Sizilianers und zeigt auf die weiße Rauchfahne – den Atem des Vulkans. Seit 100.000 Jahren ist dieser Vulkan daueraktiv. Und hat sich in dieser Zeit durch seine bedächtig fießenden Lavaströme ein gigantisches Terrain erobert. „Der Ätna überrascht nicht mit Explosionen. Er nimmt dir das Haus weg, er nimmt dir den Garten weg“, sagt Salvo, „aber er nimmt dir nie das Leben weg.“ Pragmatismus eines Vulkanbewohners.
Gleich am nächsten Morgen bricht die Gruppe zum „Vulkangipfelsturm“ auf. Die erste Strecke wird mithilfe der Seilbahn bewältigt. Hoch schaukelt sie über riesige Krater, aufgetürmte Aschekegel und erloschene Lavaströme. Oben weht ein eisiger Wind, der Nebelwolken über unendliche schwarze Weiten treibt. Giftiggelbe Schwefelstreifen ziehen sich über einen schmalen Grad. Weiße rauchsäulen qualmen aus den Fumarolen. Eine Schutzhütte ist bis zum Dach in schwarzer Lava verschwunden – ein Gänsehautanblick, der eine Vorstellung davon gibt, wie mächtig so ein Vulkanausbruch ist. Beim Wandern versinken die Füße ab und zu in Asche – wie im Schnee, nur in Schwarz.
Nach der erkalteten Schönheit des Vesuvs und der gigantischen des Ätnas wird es Zeit für ein richtiges Vulkanfeuerwerk. Und wo, wenn nicht auf der Insel Stromboli, könnte man dieses besser erleben? Schon die Überfahrt ist ein Erlebnis: die riesige Rauchfahne des Vulkans ist von Weitem sichtbar, eine Handvoll weißer Häuser leuchten unter dem dunklen Kegelberg und das Meer hat eine Farbe wie dunkelblaue Tinte.
Der Stromboli ist einer der aktivsten Vulkane der Welt. In der Regel spuckt er seine Feuersäulen alle fünf bis 20 Minuten meterweit in den Himmel, erklärt Geologe und Vulkanexperte Florian Becker, der zusammen mit Wanderführerin Sybille Janssen die Exkursion leitet. Auch wenn das für einen Laien eher gefährlich klingt, der Vulkanexperte sieht das Feuerspucken als gutes Zeichen: „Schlimm wird es, wenn der Vulkan lange nichts macht, dann sammelt er seine Kraft und es kann eventuell eine große Eruption folgen.“
Dann lieber gleich am nächsten Tag hoch, solange der Schlot noch raucht. Der steile Weg nach oben versetzt die Wanderführerin in Begeisterung. „Dort seht ihr Kalabrien, dort die sizilianische Küste, da den Leuchtturm der Insel Salina.“ Fast ist das Ziel erreicht, doch zuvor heißt es: warten. Erst als die Nacht schwarz genug ist, gehen die Vulkanfreunde ganz nach oben an den Rand des alten Kraters. Circa 200 Meter unter ihnen liegt eine bizarre Kraterlandschaft.
Plötzlich geht es los. Mit einem Höllenlärm, der tief aus der Erde zu kommen scheint, sprüht eine riesige Feuersäule weit in den dunklen Nachthimmel. Rote Glut legt sich um den Kraterrand, glühende Steine rollen die tiefschwarze Sciara del fuoco – die Feuerrutsche – hinunter und versinken im Meer.
Weitere Eruptionen folgen, breite Feuersäulen, die wild umher sprühen, schmale, die hoch in den Himmel zischen – ein phänomenales Naturereignis, das die Zuschauer in den Bann nimmt. Dann der Abstieg bei Nacht unter einem funkelnden Sternenhimmel mit unzähligen Sternschnuppen. Ein Konkurrenzfeuerwerk des Universums.
Der Gestank der Hölle
Vom strombolianischen Fegefeuer geht es dann direkt in den Gestank der Hölle: Wir sind auf der Insel Vulcano am Fuße des Gran cratere. Sofort fällt der beißende Geruch auf. Und der giftige Schwefelgestank nimmt mit jedem Schritt zu. Oben hilft nur noch ein nasser Lappen um Mund und Nase. Der experte verweist auf die Fumarolen, kleine, honigfarbene Tröpfchen, „das ist füssiger Schwefel“. Einer der Tourteilnehmer kommt hustend aus dem Nebel. Statt einer grünen Wanderhose hat er nun eine rosarote Wanderhose an – Schwefeldämpfe können eben nicht nur übel riechen.
BARBARA WIEDEMANN
Die Journalistin Barbara Wiedemann war Teilnehmerin an der Reise FEUERBERGE SÜDITALIENS im Oktober 2008.
[ Den original Zeitungsartikel als PDF-Datei gibt’s hier: BerlinerZeitung_20090711 ]