Wenn die Berge explodieren
Seite Drei / Süddeutsche Zeitung – MÜNCHEN Dienstag, 9. April 2013
Während andere im Urlaub an den Strand fahren, fliegt Ulrich Küppers zu Vulkanen. Er ist Experte für experimentelle und physikalische Vulkanologie an der Ludwig-Maximilians-Universität
Diese Explosion damals, sie war im ersten Moment ein ziemlicher Schreck für Ulrich Küppers. Es war 1995, Küppers studierte Geologie. „Und ich hatte überhaupt keine Ahnung von Vulkanen“, sagt der Mann mit dem langen Kinnbart. Er war trotzdem auf die Insel Stromboli nach Italien gefahren,um sich den Vulkan dort, der ein paar Mal täglich kleine Ausbrüche hat, mal aus der Nähe anzusehen. Einfach so, aus Interesse und Neugier. Er war den Pfad zum Krater hochgestiegen, um die letzte Kurve gebogen und hatte die vielen kleinen Krater dort gesehen, die alle ein bisschen dampften. Nach zwei Minuten gab es eine relativ große Eruption. „Es war ein ohrenbetäubender Knall, dann flogen Fragmente von Magma durch die Luft. Mein Puls war auf 180, mein Körper war voller Adrenalin.“
Der Puls geht heute nicht mehr auf 180, dafür hat Küppers inzwischen zuviele Ausbrüche von Vulkanen miterlebt. Es fasziniert ihn aber immer noch, das Adrenalin ist jedes Mal wieder da. Und der Schreck ist dem Respekt vor dem Berg gewichen. Küppers ist inzwischen 39 Jahre alt und arbeitet an der Ludwig-Maximilians-Universität als Experte für experimentelle und physikalische Vulkanologie. „Uns interessiert, warum Vulkane ausbrechen, wie die Prozesse im Innern der Krater funktionieren und welche Faktoren darauf wie einwirken“, erläutert Küppers. Weil Vulkanologen am Berg aber nicht in den Vulkan hineinschauen können, um die Prozesse zu analysieren, stellen die Wissenschaftler in München Ausbrüche im Labor nach ? mit Geräten, die es sonst nirgendwo gibt auf der Welt.
Unten im Keller des Gebäudes an der Theresienstraße gibt es große Zylinder, die teils zwei Stockwerke hoch sind. Hier setzt Küppers Gesteinsproben von Vulkanen unter erhöhte Temperatur und erhöhten Druck, bis sie zerbersten ? und simuliert so Ausbrüche. Küppers hat schon viele Studenten betreut, auch die unteren Semester, er kann inzwischen recht verständlich erklären, wieso ein Vulkan ausbricht. Die Magma im Innern ist immer heiß. Wenn nun die Gase ähnlich wie in einer Sprudelflasche, die man langsam aufdreht, relativ leicht entweichen können, dann fließt bei Ausbrüchen in der Regel nur Lava aus dem Berg. Wenn die Magma aber sehr zähflüssig ist, dann entweichen die Gase nicht so leicht. Die Gasblasen in der Magma also wachsen, bis das Gemisch übersättigt ist. Die Blasen können nicht mehr aufsteigen. „Es bildet sich ein Überdruck, bis das Gewicht des überwölbenden Gesteins vom Berg nicht mehr ausreicht, um dem Druck standzuhalten“, sagt Küppers. Der Berg explodiert.
In den Geräten im Labor stellt Küppers diese Prozesse nach, um herauszufinden, wie das Gestein ausgeworfen wird, wie groß oder klein undwie heiß die Bruchstücke sind und wie schnell sie hochgeschossen werden. Die Wissenschaftler in München haben inzwischen einen relativ großen Datensatz, um sagen zu können, unter welchen Temperaturen und unter welchem Druck bestimmte Gesteine auf welche Weise reagieren. „Jetzt verstärken wir gerade die Zusammenarbeit mit Kollegen, die an Vulkanen vor Ort für das Monitoring zuständig sind“, sagt Küppers. Monitoring bedeutet die Überwachung von Vulkanen, um vor Ausbrüchen zu warnen. Vulkanologen können inzwischen relativ zuverlässig sagen, dass ein Vulkan innerhalb der nächsten 72 Stunden ausbrechen wird. Drei Wochen vorher zusagen, dass der Vulkan in einem bestimmten Zeitpunkt ausbricht, das geht nicht. „Es gibt viele Parameter, die da hineinspielen und die wir noch nicht unter Kontrolle haben“, sagt Küppers. Was ist zum Beispiel, wenn es regnet und das Grundwasser steigt? Wirkt sich das aus? „Wissen wir nicht“, sagt Küppers. Es ist diese Macht der Natur, die ihn noch heute fasziniert und die ihn veranlasst hat, sich während des Studiums der Geologie auf Vulkane zu spezialisieren. „Da wirken Kräfte, die alles übersteigen, was wir als Menschen kontrollieren können“, sagt der 39-Jährige. Eigentlich in Krefeld geboren, ist Küppers mit seinen Eltern schon mit drei Jahren an den Rand der Alpen nach Bayern gezogen. Dort hat ihn die Leidenschaft für Berge gepackt. Küppers ist ein durchtrainierter Outdoortyp, Bürojob ist nicht gerade eine Stellenbeschreibung, die einen Mann wie ihn reizt. Als ein Professor während des Studiums eine Dokumentation über einen deutschen Fotografen gezeigt hat, der 1985 bei einem Ausbruch am Stromboli dabei war,da war Küppers infiziert.Er belegte Seminare über Vulkanologie und ging dafür auch an andere Universitäten, weil damals in München das Angebot noch nicht so groß war. Und dann hat er trotzdem erst einmal in einem hydrogeologischen Ingenieurbüro angeheuert: Altlastenuntersuchungen, Grundwasseruntersuchungen. „Nach einem knappen Jahr hatte ich genug“, sagt Küppers.
Er ist dann wieder zurückgekehrt zu seiner Leidenschaft, der Vulkanologie, und hat auf den Azoren ein Forschungsprojekt begleitet über einen Ausbruch, der vor 16.000 Jahren stattfand. Und der Job ist auch heute noch sein Hobby. Während andere im Urlaub an den Strand oder auf einen Städtetrip fahren, fliegt Küppers zu Vulkanen. Einfach so, weil er gerne dort ist. Erst vor wenigen Wochen war er wieder für fünf Tage am Ätna, Skitouren gehen. Bei einem großen Ausbruch des höchsten aktiven europäischen Vulkans im Jahr 2002 ist er gemeinsam mit Kollegen nach Sizilien geflogen, nur um zuzusehen. „Als Voyeure“, sagt er. Sie sind ein bisschen den Berg hochgefahren, dann noch zwei Stunden näher hingewandert, bis sie etwa einen Kilometer vom Krater entfernt waren. Dawar es noch sicher, dort drohte keine Gefahr. Und dann haben sie auf die Explosionen und die Aschesäule gestarrt, die zwei bis drei Kilometer hoch über dem Berg stand.
Küppers kann sich ziemlich aufregen über Touristen, die Ausbrüche von Vulkanen begaffen, ohne Respekt vor der Kraft zu zeigen, die dahinter steckt. „Auf dem Stromboli gehen die Leute hinauf auf den Berg, dann fotografieren sie einen Ausbruch und steigen wieder ab, um Pizza zu essen. Die begreifen das Risiko gar nicht, für die ist das wie Kino.“ Der 39-Jährige würde sich ein bisschen mehr Aufklärung und Interesse wünschen.
Doch weil es meist nur Aufmerksamkeit gibt, wenn es bei Ausbrüchen oder auch Erdbeben zu Unglücken kommt, wird er wohl größere Aussicht auf Erfolg mit seinem zweiten großen Wunsch haben: Küppers, der schon Vulkane in Ecuador und Mexiko, auf Hawaii und in Japan besucht hat, würde gerne einmal nach Kamtschatka reisen, umzu forschen. „Die Landschaft reizt mich. Und über die dortigen Vulkane wissen wir noch nicht so viel.
FLORIAN FUCHS