Blick in den Krater des Vesuvs
Seite 12 / Rheinzeitung Nr. 124, AKTION: WISSEN MACHT FREUDE, Samstag, 30. Mai 2009
Forschungscamp-Gewinner machen sich auf die Suche nach Magma – In Süditalien blubbert Schlamm und zischen Schwefelgase
Einen ganz besonderen Tag haben die zehn Teilnehmer des Forschungscamps Geologie in Neapel erlebt, das unsere Zeitung gemeinsam mit dem Augenoptiker Fielmann organisiert hat. Die jungen Forscher suchten mit einem Geologen am Golf von Neapel nach Anzeichen für Vulkanaktivität – wie richtige Vulkanologen.
Der kleine Park ist beschaulich, Palmen säumen den Kiesweg. Die 16-jährige Lisa Hörter schlendet genüsslich durch die mediterrane Grünanlage. Plötzlich bleibt sie stehen, hält sich die Nase und sagt leicht angewidert: „Das stinkt ja wie zwölf Monate alter Eiersalat!“. Der Geologe Florian Becker weist sie und neun weitere Nachwuchsvulkanologen auf die Mondlandschaft hin, in die der Park abrupt mündet. „Es riecht nach faulen Eiern, das kommt von den Schwefelverbindungen, die hier aus dem Erdinnern aufsteigen“, erklärt er. Überall auf dem Gelände blubbert heißer Schlamm, Schwefelgase zischen aus dem Boden. Die Griechen vermuteten an diesem Ort einst den Zugang zur Unterwelt. Sie nannten den Platz „die brennenden Felder“ – und so heißt er bis heute: „Campi Flegrei“.
Aus dem Boden zischt es
Die Phlegräischen Felder, mitten in einem westlichen Stadtteil der süditalienischen Großstadt Neapel gelegen, sind der größte Vulkan Europas und in Privatbesitz: das Gebiet von mehr als 150 Quadratkilometern erstreckt sich bis in den Golf von Neapel hinein. Auf dem Areal gibt es mehr als 50 Eruptionsherde.
Mit beiden Händen fasst der 13-jährige Jonas Schink auf den stinkenden Sand und zieht sie schnell wieder weg. Der Boden ist durch die vulkanische Aktivität sehr heiß, das Gestein durch die aufsteigenden Schwefeldämpfe gelb gefärbt. Die jungen Forscher gewöhnen sich langsam an den Geruch. Sie halten die Hände in die aufsteigenden Dämpfe, kratzen Schwefel von den Steinen. Ausgiebig beobachten die Jugendlichen die vielen Felsvorsprünge, aus denen es dampft. Dass das Innere der Erde heiß und flüssig ist, das wissen die Nachwuchsforscher bereits. Doch jetzt haben sie den Beleg dafür direkt unter ihren Füßen – es zischt, dampft und sprudelt.
Dabei liegt der letzte mächtige Ausbruch der Phlegräischen Felder lange zurück. Er ereignete sich vor 39.000 Jahren und war gewaltiger als jeder Ausbruch des berühmten Vesuvs: Bis zu 300 Stundenkilometer schnell ergossen sich 500 Grad heiße Wolken aus Gas und pulverisiertem Gestein auf ein über 30.000 Quadratkilometer großes Gebiet. Asche flog bis zum Ural und über die Alpen hinweg.
200 Kubikkilometer Lava
Der Vulkan spie mindestens 200 Kubikkilometer Magma aus. Demgegenüber flossen aus dem Vesuv bei seinem berühmten Ausbruch im Jahr 79 lediglich fünf Kubikkilometer Magma. Manche Wissenschaftler glauben, dass die Phlegräischen Felder noch heute das Potenzial haben, um ganz Europa zu zerstören.
Natürlich treibt es das Forscherteam auch vor die Tore der Stadt zum Vesuv. Die einst verschütteten antiken Stätten Pompeji und Herculaneum mahnen an seinem Fuß noch immer von der Gefahr, die von dem 1281 Meter hohen Berg ausgeht. Ein Kleinbus bringt die Gruppe die kurvenreiche Straße zum Vulkan hinauf. Doch das letzte Stück müssen die Nachwuchsforscher zu Fuß zurücklegen. Die Jugendlichen kraxeln den staubigen Weg zum Rand des Kraters hoch. Kein leichter Aufstieg. „Ich habe nicht gedacht, dass der Vulkan so hoch ist“, meint Sarah Ohnuseit auf den letzten Metern. Doch oben angekommen, bietet sich allen Teilnehmern ein atemberaubender Blick in sein Inneres: Braunrot, blaugrün und schwarzblau schimmert das Gestein. Bei jeder Wolke, die vor die Sonne zieht, changieren die Farben.
Der Geologe Florian Becker zeigt den Jugendlichen die Messgeräte am Krater. Vulkanologen überprüfen, ob Gase austreten, ob der Boden sich hebt oder Magma sich bewegt. Das Gebiet um Neapel gehört zu den bevölkerungsreichsten Regionen Europas und müsste bei einem Ausbruch evakuiert werden. Bei einer Dreiviertelmillion Menschen keine leichte Aufgabe. Deshalb zahlt die italienischen Regierung jedem 30.000 Euro, der aus der Region wegzieht.
Menschen lieben den Vesuv
Die Schüler finden, dass das viel Geld ist – doch die Menschen in Neapel lieben ihren Vesuv und wollen ihre Häuser an seinem Fuß nicht aufgeben. „Die meisten Vulkane sind für die Bevölkerung ohnehin nicht gefährlich“, beruhigt der Geologe. Da bemerkt die 13-jährige Franziska Dax am Rand des Kraters aufsteigenden Dampf – nur wer genau hinschaut, erkennt den Hinweis auf die ständige Aktivität des Vesuvs. Franziska hat bewusst danach gesucht – schließlich hatte sie wieder den Geruch von faulen Eiern in der Nase.
KIRSTEN FITZKE
[ Den original Zeitungsartikel als PDF-Datei gibt’s hier: Rheinzeitung_20090530 ]