Die Liebhaber des Vulkans
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, REISE, 22. November 2015
Sogenannte Feuerberge ziehen jedes Jahr Millionen Besucher an. Was man in der Gefahrenzone beachten sollte
Der Lohn für den Drei-Stunden-Marsch über Eis und Geröll war eine stinkende Wolke. „Es roch nach faulen Eiern, Pups und ich weiß nicht was“, beschreibt Nico Anderson ihren Besuch auf dem Villarrica, einem der bekanntesten Vulkane Chiles. Wegen der Rauchwolken konnte die Britin nicht ganz um den Krater herumgehen, auch verbarg sich die Lava im Inneren des Kegels. Trotzdem sei die Erfahrung einzigartig gewesen. „Es fühlt sich einfach verrückt an, auf etwas zu stehen, das jeden Moment in die Luft gehen kann!“
Es sind Urlaubsziele, an denen man es kaum länger als eine Stunde aushält: Giftschwaden, höllische Hitze und umherfliegende Gesteinsbrocken machen Vulkane zu den unwirtlichsten Orten der Erde. Der Villarrica ist erst im März wieder ausgebrochen, 3600 Menschen mussten evakuiert werden. Und in Mexiko schießen derzeit der Popocatepetl und der Colima glühende Lava in den Himmel; der „Rauchende Berg“ und der „Feuervulkan“ sind genauso gefährlich wie beliebt.
Aber die Gefahren können auch ganz woanders liegen: Auf der indonesischen Insel Bali saßen Ende Oktober Tausende Touristen fest, weil die Aschewolken des Rinjani jeden Flugzeugstart unmöglich machten. Und auf Java wurde dieses Jahr der Merapi gesperrt, nachdem ein Student in den Krater gefallen war – beim Versuch, ein Selfie zu knipsen, war er über dessen Rand gestolpert.
Aber die Gefahr ist es gerade, was die Feuerberge so faszinierend macht. Allein der Mount Rainier im amerikanischen Bundesstaat Washington zieht jedes Jahr 1,3 Millionen Besucher an; er liegt in derselben Vulkanregion wie der Mount St. Helens, der für seinen zerstörerisehen Ausbruch 1980 bekannt wurde. Und Island boomt als Reiseland, seitdem Aschewolken von der Insel den Flugverkehr über Europa lahmlegten.
Patrick Kleinkorres ist bei Wikinger Reisen zuständig für die Insel im Norden. Den Namen des Vulkans Eyjafjallajökull spricht er aus, als hätte der nur zwei statt gefühlte zwanzig Silben. „So gesehen ist er ein Segen für Island“, sagt der 41-Jährige. Seit dem Ausbruch 2010 habe sich die Besucherzahl auf eine Million mehr als verdoppelt. Ein Besuch des Höllenschlundes gehöre fest zum Programm. Die meisten stellten sich das vor wie beim Vesuv: „Ein Kegel, den man hoch läuft, und innen blubbert es. Doch nicht alle Vulkane entsprechen diesem Bild.“ Aus Spaltenvulkanen zum Beispiel quillt die Lava aus kilometerlangen Rissen im Boden. Kleinkorres kommt ins Schwärmen, wenn er davon spricht: „Man sieht, wie neues Land entsteht, und fühlt sich wie auf einem jungen Planeten.“ Schwarze Lavafelder, riesige Breschen im Gletscher und haushohe Gesteinsbrocken, die der letzte Ausbruch an die Erdoberfläche geschleudert hat: „Das sind Dimensionen, die einen mitnehmen.“
Und noch ein Vorteil in Island: Die Vulkane dort sind nicht besonders gefährlich. Um von Ausbrüchen mit Todesfolge zu erzählen, müsse man sehr weit in der Geschichte zurückgehen. „Es gibt ein großartiges Frühwarnsystem, die Erdbeben sind nicht so heftig, und die Insel nicht dicht bebaut.“ Sollte es irgendwo gerade brenzlig sein, sperren die Behörden die Gegend.
Ulrich Küppers darf auch dorthin, wo es für Touristen längst zu gefährlich ist. Der Vulkanologe an der Universität München misst die Temperatur der Lava und die Zusammensetzung der austretenden Gase. Den Stromboli nennt er „meine erste Liebe“, etwa 70 Mal war er schon oben, insgesamt hat er zwei Dutzend verschiedene Vulkane bestiegen. „Vulkane sind wie Menschen: Alle müssen essen und schlafen, aber keine zwei haben denselben Charakter.“ Sie entstehen meist dort, wo sich tektonische Platten begegnen. „Je nachdem, ob die sich aufeinander zu-, voneinander weg- oder aneinander vorbeibewegen, bilden sich unterschiedliche Typen.“
Küppers gehört auch zum Team des Reiseveranstalters Vulkankultour. Aber der Massentourismus, den er bei der Feldarbeit in Italien erlebt, ärgert den Geologen. „Der Durchschnittstourist ist ignorant“, sagt Küppers. Zur Ausrüstung gehörten feste Schuhe, genug zu trinken, Taschenlampe, warme Kleidung, und vor allem ein T-Shirt zum Wechseln. Denn wer durchgeschwitzt ankommt, dem wird schnell kalt, und der kann die Zeit oben nicht lange genießen. Nur halte sich kaum jemand an diese Standards. „Das ist bei meinen Studenten nicht anders – aber die machen das nur beim ersten Mal.“ Ansonsten hält Küppers eine Vulkanbesteigung nicht für viel gefährlicher als eine normale Alpintour. „Ich darf nur nicht vergessen, dass der Nebel eventuell giftiges Gas ist und der Vulkan im Ernstfall auch noch Steine nach mir wirft.“ Er empfiehlt: am besten immer mit einem Bergführer hinauf – und darauf hören, was der sagt.
MARLENE GÖRING
Pauschalreisen auf Feuerberge: Nach lsland mit Wikinger Reisen, 5 Tage oder 15 Tage, Termine ab 2016, Preise auf Anfrage, www.wikinger-reisen.de
Mit Vulkankultour auf den Stromboli und die Liparischen Inseln, 1. bis 8. Juli 2016, ab 1280 Euro, www.vulkankultour.de
Nach Nordchile mit Vulkan Expeditionen lnternational, 14 Tage, u. a. Besteigung von zwei Sechstausendern. März 2006, Preis auf Anfrage, www.v-e-i.de