Die Briefe von Plinius dem Jüngeren
Auf die Bitte des Geschichtsschreibers Tacitus hin schrieb Plinius der Jüngere zwei Briefe, in denen er über den Tod seines Onkels Plinius des Älteren berichtet. Der großartige Naturforscher und aufmerksame Beobachter war während des Vesuvausbruches am 24. August 79 per Schiff nach Pompeji gekommen, um den Fliehenden Hilfe anzubieten. Seine für diese Zeit ungewöhnlich sachlichen Aufzeichnungen gelten als früheste wissenschaftliche Beschreibung eines Vulkanausbruchs und können als Wiege der modernen Vulkanologie bezeichnet werden.
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Der 1. Brief von Plinius d. Jüngeren an Tacitus (EPISTULAE VI, 16)
C. Plinius grüßt seinen Freund Tacitus!
Ich halte für glücklich, wem es durch die Gunst der Götter gegeben ist, Beschreibenswertes zu tun oder Lesenswertes zu schreiben – besonders glücklich die, denen beides vergönnt ist. Zu diesen wird mein Onkel durch seine wie auch durch Deine Bücher gehören. Umso lieber erfülle ich Dir Deinen Wunsch, ich bitte Dich sogar, diese Bitte an mich zu richten.
Er war in Misenum und befehligte die Flotte. Am 24. August, etwa um 1 Uhr mittags, berichtete ihm meine Mutter, dass sich eine Wolke von ungewöhnlicher Größe und Gestalt zeige. Er hatte in der Sonne gelegen und ein kaltes Bad genommen, sich ausgestreckt und etwas gegessen und nahm wieder seine Arbeit auf. Er ließ sich seine Sandalen bringen und erklomm eine Anhöhe, von der aus man die wundersame Erscheinung beobachten konnte. Die Wolke stieg auf – wer sie aus der Entfernung sah, wusste nicht, von welchem Berg aus; dass es der Vesuv war, erfuhr man erst später – und sah keinem Baum ähnlicher als einer Pinie. Sie erhob sich wie von einem sehr hohen Stamm und teilte sich dann in mehrer Äste. Durch Aufkommen eines Windes emporgehoben, breitete sie sich durch Abflauen desgleichen durch ihr Gewicht wieder aus. Sie erschien weiß, zuweilen schmutzig und fleckig, je nachdem ob sie Erde oder Asche mit sich führte.
Einem bedeutenden Naturforscher wie meinem Onkel erschien dies Ereignis betrachtenswürdig und wichtig. Er ließ ein leichtes Schiff bereit machen und begab sich selbst an Bord. Er bot mir an, mit ihm zu kommen. Ich antwortete, dass ich lieber arbeiten wolle und zufällig hatte er selbst mir etwas gegeben, woran ich schreiben sollte. Er trat soeben aus dem Haus, da er ein Schreiben von Rectina, der Frau des Cascus, erhielt, die über die drohende Gefahr erschrocken war (denn ihr Anwesen lag am Fuße des Vesuv und es gab keine andere Flucht als mit dem Schiff) und sie bat ihn, sie aus der Gefahr zu retten. Darauf änderte er seinen Plan, und was er aus Neugierde begonnen hatte, führte er jetzt mit Edelmut aus.
Er ließ einen Vierruderer zu Wasser und geht selber an Bord. Nicht nur um Rectina Hilfe zu bringen, sondern vielen anderen, denn die Küste war in ihrer Schönheit von sehr vielen bevölkert. Er eilt dorthin, von wo aus andere fliehen, mit geradem Kurs auf die Gefahr zu. So furchtlos, dass er alle Veränderungen und Formen des Unheils so wie er sie wahrnahm, diktierte und aufzeichnen ließ.
Schon fiel Asche auf die Schiffe, je näher sie herankamen, desto heißer und dichter; nun auch schwarze und ausgebrannte, vom Feuer geborstene Steine. Eine plötzliche Untiefe und der Auswurf des Berges macht die Küste unzugänglich. Er überlegte, ob er umkehren sollte, so wie es ihm der Steuermann riet, und sagte ihm: „Mit den Tapferen ist das Glück, fahre zu Pomponianus!“ Dieser war in Stabiae durch den Golf von uns getrennt – denn das Meer buchtet sich in sanften Krümmungen und Wendungen ins Land. Obwohl die Gefahr noch nicht nahe, so war sie doch abzusehen und wenn sie weiter wuchs, nahe genug. Er hatte daher sein Gepäck auf die Schiffe bringen lassen und war zur Flucht entschlossen, sobald der Gegenwind sich legen würde.
Als mein Onkel unter sehr günstigem Wind anlegte, umarmte er den zitternden und tröstet und ermuntert ihn. Um seine seine Angst durch seine Zuversicht zu beruhigen, lässt er sich in Bad bringen. Nach dem Bad begibt er sich zu Tisch und speist; gelassen oder nicht weniger gut, vorgeblich gelassen.
Inzwischen strahlen vom Vesuv her breite Flammenfelder und Feuersbrünste, deren Leuchten und Helligkeit durch die Nacht noch gesteigert wurde. Zur Besänftigung der Furcht erklärte mein Onkel, die Leute hätten vor Schrecken ihre Herdfeuer verlassen, nun brennen die verlassenen Gehöfte. Nun begab er sich zur Ruhe und schlief wirklich fest, denn sein Atem ging durch seine Körperfülle schwer und laut.
Der Vorhof, von dem aus man in das Zimmer trat, wurde nun aber mit Bims und Asche so hoch aufgefüllt, dass man bei längerem weilen nicht mehr aus dem Zimmer hätte hinausgehen können. Mein Onkel wird geweckt, und er begibt sich zu Pomponianus und den anderen, die die Nacht durchwacht haben. Gemeinsam beratschlagen sie, ob sie im Haus bleiben sollten oder ins Freie gehen, denn die Häuser schwankten durch die häufigen Erdstöße. Es war als ob sie aus ihren Fundamenten gehoben würden und mal hierhin und mal dorthin wankten und sich wieder setzten.
Schon war es andernorts wieder Tag, hier aber noch Nacht, schwärzer und finsterer als alle Nächte zuvor, was aber Fackeln und andere Lichter gutmachten. Man beschloss, zur Küste zu gehen und zu begutachten, was das Meer an Möglichkeiten böte, diese war aber weiter wild mit Gegenwind.
Dort legte sich mein Onkel auf ein Laken und forderte immer wieder kaltes Wasser und trank es. Aber Flammen und als Vorboten der Flammen Schwefelgeruch trieb die anderen in die Flucht und schreckte ihn auf. Gestützt von zwei Sklave erhob er sich und brach darauf wieder zusammen; wie ich vermute durch den dicken Rauch erstickt, weil sich die Luftröhre verschloss, die bei ihm eng und schwach war.
Als das Tageslicht wiederkam, am dritten Tage nach dem gerechnet, an dem man ihn zuletzt sah, wurde sein Leichnam gefunden, unversehrt und gekleidet wie er zuletzt gewesen war, eher einem Schlafenden als einem Toten ähnlich.
Indessen waren meine Mutter und ich in Misenum; dies trägt aber nicht zur Erzählung bei, und Du wolltest nur über die Umstände seines Todes erfahren. Deshalb will ich Schluss machen. Als Einziges will ich noch anfügen, dass ich alles festgehalten habe, was ich selbst erlebt und gleich damals gehört habe, dann, als die Erinnerungen noch ganz frisch war. Du wirst das wichtigste herausnehmen, denn es ist etwas anderes, ob man einen Brief schreibt oder Geschichte; ob man für einen Freund schreibt oder für alle.
Lebe wohl!
Der 2. Brief von Plinius d. Jüngeren an Tacitus (EPISTULAE VI, 20)
C. Plinius grüßt seinen Tacitus!
Du schreibst mir, der Brief über den Tod meines Onkels, den ich Dir auf Dein Verlangen geschrieben habe, hat in Dir den Wunsch geweckt, zu Erfahren, was ich, der ich in Misenum geblieben war, an Schrecken und Gefahren erlebt habe, denn ich habe dort abgebrochen. Obwohl mein Geist erschaudert bei der Erinnerung, so möchte ich beginnen.
Als mein Onkel weggefahren war, verbrachte ich die übrigen Zeit mit Studien, denn deretwegen bin ich zurückgeblieben. Danach badete ich, speiste und schlief kurz und unruhig. Die Erdbeben, welche man schon seit mehreren Tagen spürte, hatten uns als ein in Campanien gewöhnliches Ereignis nicht beunruhigt. In dieser Nacht wurden sie aber so stark, dass man glauben mochte, alles schien sich nicht nur zu bewegen sondern stürzte ein. Meine Mutter stürzte in mein Schlafzimmer und so wollte auch ich gerade aufstehen sie zu wecken, falls sie noch schliefe.
Wir setzten uns in den Hof, der die Häuser in mittlerem Abstand von dem Meer trennte. Ich weiß nicht, ob ich es Unerschrockenheit oder Unüberlegtheit nennen soll, denn ich war damals erst achtzehn Jahre alt, ich lasse mir ein Buch des Titus Livius bringen und lese, als hätte ich nichts besseres zu tun und setze auch die Exzerpte fort. Da kommt ein Freund meines Onkels, der vor kurzem aus Spanien bei ihm eingetroffen war; und als er mich und meine Mutter sitzen sieht, mich sogar lesend, schimpfte er ihre Gleichgültigkeit und meine Unbekümmertheit; trotzdem las ich nicht weniger eifrig weiter.
Es war bereits um die erste Stunde des Tages und der Tag kam zögerlich, fast schläfrig herauf. Die umliegenden Gebäude schwankten stark und obwohl wir uns auf freiem, wenn auch beschränkten, Raum befanden, fürchteten wir, dass die Gebäude einstürzten könnten. Nun schien es uns ratsam, die Stadt zu verlassen. Eine verängstigte Menschenmenge folgt uns und lässt sich, was sich in der Panik als Klugheit fast sich ausmacht, vielmehr von fremden Rat als seinem eigenen leiten.
Als wir die Gebäude hinter uns hatten, blieben wir stehen. Auch hier geschah allerlei Sonderbares und Verwunderliches: die Wagen, die wir hatten hinausbringen lassen, bewegten sich hin und her, obwohl sie auf ganz ebenem Gelände standen und blieben auch nicht auf der Stelle, wenn wir Steine unterlegten. Das Meer zog sich zurück und wurde von der Erdstößen zurückgedrängt, jedenfalls sahen wir allerlei Meeresgetier auf trockenem Sande festgesetzt.
Auf der anderen Seite eine schwarze Wolke, kreuz und quer durchsetzt von zuckenden Schlangenlinien, die wie Blitze aussahen aber größer waren. Der Freund aus Spanien drängte heftiger: „Wenn Dein Bruder, wenn Dein Onkel noch lebt, so will er euch gerettet wissen. Ist er tot, so wäre es sein Wunsch, ihr möget in Sicherheit sein. Wieso zögert ihr, euch zu retten? Wir entgegneten, wir könnten nicht an unsere Rettung denken, solange die seine nicht gewiss sei. Dieser verweilt nicht länger, stürzte fort und entzog sich in schnellem Lauf der Gefahr.
Bald darauf legt sich die Wolke auf die Erde hinab und bedeckt die See, hatte Capri eingehüllt und des Kap von Misenum unsichtbar gemacht. Meine Mutter ermahnte mich nun zu fliehen so gut es mir möglich sei; ich als junger Mann könne es noch, sie, alt und krank, möchte gerne sterben wenn sie nur nicht an meinem Tode schuldig sei. Ich erwiderte, dass ich ohne sie nicht überleben wolle, greife ihre Hand und zwinge sie schneller zu gehen. Widerstrebend folgt sie und macht sich Vorwürfe, weil sie mich aufhalte.
Schon regnet es Asche, wenn auch nur spärlich. Ich sah zurück: dichter Rauch kommt uns im Rücken immer näher, wie ein Sturzbach sich über den Boden ergießend. „Lass uns vom Wege abgehen, solange wir noch sehen können; sonst kommen wir auf der Straße unter die Füße und werden im Dunkel von der Masse niedergetreten.“ Kaum dass wir uns niedergelassen hatten, da wurde es Nacht. Nicht wie eine mondlose Nacht, sondern wie in einem geschlossenen Raum wenn man das Licht gelöscht hat. Man hört nun die Frauen heulen, die Kinder wimmern und die Männer schreien; manche schrien nach ihren Eltern, andere nach ihren Kindern oder ihren Ehegatten. Manche erkannten sich an den Stimmen, andere bejammerten ihr Unglück, weitere das ihrer Angehörigen und wieder andere sehnten sich aus Furcht vor dem Tode nach dem Tode selber. Viele erhoben die Hände betend zu den Göttern, andere sagten es gebe keine Götter mehr und die letzte ewige Nacht sei hereingebrochen. Auch gab es Leute, die mit erfundenen Schreckensgeschichten die Gefahr überspitzten. Einige behaupteten, in Misenum sei dies und jenes stehe in Flammen, sei eingestürzt: alles falsch, und doch glaubte man alles.
Es hellte ein wenig auf, doch war es nicht der Tag, sondern ein Vorbote eines nahenden Feuers. Doch es blieb in einiger Entfernung stehen; dann wurde es wieder dunkel, es fiel dicht und schwer die Asche. Oft mussten wir aufstehen und sie abschütteln, sonst wären wir unter ihrer Last erdrückt worden. Ich könnte mich nun rühmen, dass mir trotz Gefahr kein Seufzer, kein verzagter Laut entfahren sei, hätte ich nicht fest geglaubt – ein schwacher Trost für unseren Tod – dass ich und mit mir alles andere untergehen würde.
Endlich verging der Rauch in eine Art Nebel oder Dampf und es wurde wirklich Tag, sogar die Sonne kam heraus, doch nur so fahl wie bei einer Sonnenfinsternis. In den verängstigten Augen zeigte sich alles verwandelt und von einer Ascheschicht wie Schnee bedeckt. Wir kehrten nach Misenum zurück, machten uns wieder zurecht so gut es ging und verbrachten eine unruhige Nacht, immer zwischen Furcht und Hoffnung schwankend. Die Furcht überwog, denn die Erdstöße gingen weiter und viele, wie von Sinnen von schreckenerregenden Prophezeiungen, täuschten sich wie auch andere über ihr eigenes oder fremdes Unglück. Wir konnten uns, obwohl wir die Gefahr nun aus eigener Erfahrung kannten nicht dazu entscheiden wegzugehen, bis wir nicht Nachricht hätten von meinem Onkel.
Dies wirst Du lesen, ohne es in Dein Werk aufzunehmen, da es dies auch nicht wert ist. Doch Du hast danach gebeten und musst es Dir selbst zuschreiben, wenn es Dir nicht einmal einen Brief zu verdienen scheint.
Lebe wohl!